Ich habe mich schon so oft gefragt, wie Lektoren so arbeiten und deshalb habe ich mir gedacht, ich schreibe einfach mal das Lektorat der Droemer Knaur Verlagsgruppe an und frage nach einem Interview. Und Frau Anne Rudolph hat sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, mir einige Fragen zu beantworten. Hier sind sie:
Würden Sie sich bitte kurz vorstellen, bevor Sie die Fragen beantworten?
Mein Name ist Anne Rudolph und ich bin Junior Lektorin im Belletristik Lektorat der Verlagsgruppe Droemer Knaur. Erstaunlicherweise verlief mein Weg hierher ohne größere Umwege: geisteswissenschaftliches Studium, Praktika, ein Volontariat, Lektorenstelle. Nachdem die Fantasy schon immer mein Steckenpferd war, betreue ich hauptsächlich Autoren in diesem Themenbereich. An deutschen Autoren sind das z.B. Markus Heitz und die Neuentdeckung Janika Nowak. Lynda Hilburn, Sharon Ashwood und Alaya Johnson sind Beispiele aus dem amerikanischen Raum.
Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Lektors/einer Lektorin aus?
Mein Tag fängt jeden Morgen mit dem Checken der E-Mails an (neulich ist unser E-Mail-Programm ausgefallen: Ich habe mich wie eine Heroinsüchtige auf Entzug gefühlt). Aber darüber hinaus gibt es kaum einen „typischen“ Tag. Der größte Teil meiner Arbeit besteht aus organisatorischen Aufgaben. Lektoren werden inzwischen oft als Projektmanager beschrieben und das stimmt auch. Man betreut sämtliche Entwicklungsschritte eines Buches: Man findet ein Projekt, überzeugt seine Kollegen im Lektorat davon, verhandelt über die Rechte, findet einen Übersetzer und/oder Redakteur, arbeitet mit dem Autor am Text oder bespricht problematische Textstellen mit dem Übersetzer, redigiert eventuell selbst, wozu aber meistens keine Zeit bleibt, schreibt sämtliche Informationstexte zu dem Buch, denkt sich einen Titel aus, liefert Cover-Ideen, diskutiert über Cover-Varianten, stellt das Buch den anderen Abteilungen des Hauses vor, überprüft die Druckfahnen und erstellt und korrigiert die Projektkalkulation. Und irgendwann freut man sich dann, wenn man ein fertiges Buch in Händen hält.
Lesen Sie die Manuskripte am PC oder in ausgedruckter Form? Und wenn in ausgedruckter Form: wie viele Rotstifte brauchen Sie im Jahr?
Das kommt darauf an: Wenn ich einen Text prüfe, um zu entscheiden, ob er für uns interessant ist oder nicht, lese ich in der Regel auf meinem eBook-Reader. Außerdem gibt es natürlich auch nach wie vor fertige Bücher von ausländischen oder deutschen Verlagen (Bei deutschen Büchern sind das Hardcover-Titel, deren Taschenbuch-Rechte verkauft werden.). Private Manuskripteinsendungen akzeptieren wir nur auf dem Postweg, da lese ich also immer einen Ausdruck. Wenn ich hingegen redigiere, tue ich das in einem ersten Schritt am PC und drucke dann den fertig überarbeiteten Text noch einmal aus, um ihn mir durchzulesen. Im Idealfall hat man dann beim ersten Durchgang am PC nur Kleinigkeiten übersehen, so dass der Verschleiß an Rotstiften minimal ist. Wie viel nun bei einer Redaktion tatsächlich geändert wird, ist von Fall zu Fall ganz unterschiedlich.
Wie viele unveröffentlichte Seiten lesen Sie täglich?
Das ist ganz unterschiedlich. Zwischen Null und fünfhundert.
Fünfhundert? Ehrlich? Wie schaffen sie das? Es gibt Tage, da bin ich froh, wenn ich zwanzig Seiten schaffe.
Na ja, 500 Seiten sind die Ausnahme. Es kommt immer mal wieder vor, dass ich mir eine halbe Nacht mit einem Buch um die Ohren schlage, weil es so gut ist. Aber genau dafür leben wir als Lektoren ja auch: dieses besondere Buch zu finden, das eine so atemlose Spannung auslöst, dass man bis nachts um drei liest. Gemein ist es dann nur, am nächsten Morgen aufzustehen, um sich zur Arbeit zu schleppen und das Gutachten zu dem Buch zu schreiben (diese Gutachten sind die Entscheidungsgrundlage für die anderen Kollegen). Die meisten Bücher sind natürlich keine 500 Seiten lang, sondern eher 350 – 400 Seiten (jedenfalls im Englischen, bei der deutschen Übersetzung wird der Text circa 15% länger).
Haben Sie überhaupt noch Lust, in Ihrer Freizeit zu lesen, wenn sie den ganzen Tag Manuskripte lesen?
Freizeit? Was war das noch gleich? Nein, Spaß beiseite … In der täglichen Arbeit kommt man kaum zum Lesen, das Prüfen von Manuskripten erledigen wir überwiegend in der Freizeit. Manchmal muss man sich extrem schnell eine Meinung zu einem Projekt bilden, und dann liest man auch schon mal im Büro, aber das ist eher die Ausnahme. Wenn man alle paar Wochen mal einen ruhigen Freitagnachmittag findet, um sich durch die Stapel von Prüfexemplaren zu wühlen, ist das schon Luxus.
Hypothetischer Fall: ein Autor schickt Ihnen ein Manuskript, sie lesen es und stellen fest, dass es totaler Mist ist. Was machen Sie dann?
Ich freue mich! Nein, wirklich, das ist vollkommen ernst gemeint. Im ersten Moment hört sich das sicher etwas gemein an, aber tatsächlich sind mir richtig schlechte oder eben richtig gute Manuskripte am liebsten. Bei richtig guten weiß ich nach der Lektüre, dass ich mir die Rechte für unseren Verlag sichern will. Bei richtig schlechten ist meist schon nach wenigen Seiten klar, dass ich sie absage. Ärgerlich sind dagegen Bücher, von denen zweihundert Seiten großartig sind und die danach völlig ihre Spannung verlieren. Dann habe ich viel Zeit in die Lektüre investiert, und das völlig umsonst. Zumindest bei ausländischen Autoren. Bei deutschen Manuskriptangeboten, von denen man nicht vollkommen überzeugt ist, stellt sich natürlich immer die Frage, ob die Autoren ihre Geschichten vielleicht verbessern können und das Potential haben, sich weiterzuentwickeln.
Hatten Sie einen solchen Fall schon einmal?
Sie meinen einen furchtbar schlechten Text? Ja, sicher. Genauso wie man absolut großartige Geschichten und so ziemlich alles in der Mitte dazwischen liest.
Wie viele Manuskripte lesen Sie im Jahr?
Ganz ehrlich, keine Ahnung. Wenn mir etwas nicht gefällt, lese ich auch nicht das gesamte Manuskript. Die Zahl ist auf jeden Fall dreistellig, darüber hinaus wage ich keine Schätzung.
Dürfen Sie sich aussuchen, ob Sie ein Manuskript lesen wollen oder nicht? Oder sagt Ihr Vorgesetzer einfach: „Los Frau Rudolph, Sie lesen das jetzt!“?
Der umgekehrte Fall ist eigentlich häufiger: Man streitet sich mit einem Kollegen, wer ein Projekt, das sich nach einer besonders tollen Idee anhört, lesen darf. Aber grundsätzlich haben alle Lektoren bestimmte Themengebiete, die wir abdecken. Wir sind zum Beispiel drei Lektoren, die Fantasy lesen, und von denen bin ich vor allem für die romantischen Geschichten zuständig. Gelesen werden müssen in erster Linie die Projekte, die „heiß“ gehandelt werden, das heißt für die sich viele Verlage interessieren. Da lesen dann auch häufig mehrere Kollegen, damit wir ein fundiertes Meinungsbild bekommen.
Kommen Autorinnen und Autoren auf den Verlag zu, oder schreiben Sie Autorinnen und Autoren an?
Ausländische Autoren werden ausschließlich über Agenturen vermittelt, mit denen wir eng zusammen arbeiten. In der Regel kommen sie auf uns zu und bieten uns Projekte an, umgekehrt fragen wir aber auch nach bestimmten Themen, wenn uns etwas im Programm fehlt. Deutsche Autoren kommen entweder auch über Agenturen zu uns oder schreiben uns direkt an.
Freitag, 12. November 2010
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Ein interessanter Einblick in die Arbeit einer Lektorin - tolles Interview - danke dafür!
AntwortenLöschenSuper spannendes Interview! Weiter so :)
AntwortenLöschen"seuftz" Mein Traumjob.
AntwortenLöschenSuper Interview.
@Claudia Marina + dyabollo: Sehr gerne! :)
AntwortenLöschen@Jana: Lektor wollte ich auch mal werden, aber seit meinem Praktikum an einer Schule weiß ich, dass Lehrer Sein meine Berufung ist!
Hallo Philipp!
AntwortenLöschenAch ja....mein Traum wars auch...aber irgendwie hab ich da was aus dem Auge verloren ;-) Ich hab dann nur unser Amtsblatt korrekturlesen dürfen ;-)
Aber wirklich ein schönes Interview!
LG
Bine
@NiliBine: Immerhin! :D Vielen Dank :)
AntwortenLöschenEin tolles Interview. Ich schließe mich den "Vorschreibern" an: auch mein absoluter Traumjob:-)
AntwortenLöschen@pinketuerklinke: Danke! :) Und ich denke, dass so ziemlicher jeder Bücherliebhaber sich schon einmal gewünscht hat, Manuskripte zu lesen :D
AntwortenLöschenIch bin gerade (fast) mit der Schule fertig und strebe das Lektorat an - irgendwann mal. Ich finde das Interview klasse! Wie genau ist der Kontakt zustande gekommen? Kann man das vielleicht wiederholen, sodass ich auch ein paar Fragen stellen kann..?
AntwortenLöschenDanke für das Interview! Auch nach vier Jahren super hilfreich; ich studiere gerade Anglistik und es hat mich mal wieder in meinem Berufswunsch bestätigt :)
AntwortenLöschenMegaturbocool
AntwortenLöschenSuper Interview, auch nach all den Jahren noch! :D
AntwortenLöschenIch studiere Kreatives Schreiben und will eigentlich Autorin werden, aber da ich davon ausgehe, dass das hauptberuflich erstmal nichts wird, bin ich am Überlegen, was ich als mein berufliches Standbein haben möchte. Lektorin wäre schon sehr cool - die eigentliche Arbeit mit Manuskripten jedenfalls. Vor dem ganzen Projektmanagement hab ich etwas Angst. Aber die Situation kann ich hoffentlich in den zwei Praktika, die ich für mein Studium machen muss, etwas sondieren.