Freitag, 23. Juli 2010

Interview Benjamin Stein Teil I




Der Autor Benjamin Stein, der mich mit seinem Buch „Die Leinwand“ sehr begeistert hat, hat sich dazu bereit erklärt, einige Fragen zu beantworten. Heir seine Antworten:




Sie werden diese Frage sicherlich schon tausend mal beantwortet haben, und sicherlich noch tausend mal beantworten müssen. Aber trotzdem möchte ich Ihnen die Frage stellen: wie kamen sie auf das Layout zu dem Buch und wie schwer war die Umsetzung?
Was mich interessiert hat, waren die Themen Erinnerung und ihre Wandelbarkeit sowie Identität und die Übergänge von einer in eine andere. Das sind Vorgänge, bei dem die Deutung und Um-Deutung unserer Erinnerungen oft eine wesentliche Rolle spielt. Es gab zunächst eine Handvoll Plot-Ideen (http://turmsegler.net/20071226/alles-fuegt-sich-zusammen/), allesamt interessant, aber nur in einer schlummerten die zusätzlichen Dimensionen, die mich ebenfalls reizten: Der Wechsler-Zichroni-Plot beschreibt einen Tikkun, also einen Prozess, in dem etwas Zerbrochenes wiederhergestellt wird, wenn auch in neuer Form. Wechsler erlebt seine Katharsis, indem er selbst in eine Situation gestellt wird, wie er sie zuvor Minsky durch sein Enthüllungsbuch beschert hat. Die Intention aber ist keine zerstörerische. Die Wirrungen, in die er gerät, sind ein Heilungsprozess… Beinahe geschieht ein Mord, und am Ende leben zwei Menschen anders und vermutlich besser als zuvor.
Also fiel meine Wahl auf den Wechsler-Zichroni-Plot, und damit war klar, dass ich zwei Erzähler haben würde, denn das Erzählen aus der Figur heraus, ist mir wichtige Methode. Bei zwei Erzählern ergeben sich mindestens vier naheliegende Varianten, wie man den Text anordnen kann. In einem herkömmlich gebundenen Buch hätte ich die beiden Erzählstränge wohl kapitelweise verschränkt.
Das im letzten Zichroni-Kapitel erwähnte Mussar-Buch »Mesilat Yesharim« steht in meinem Bücherregal in einer hebräisch-deutschen Ausgabe: Der deutsche Text beginnt also »vorn«, der hebräische »hinten«, weil Hebräisch von rechts nach links geschrieben wird. Und meine Frau zeigte mir eine zweisprachige Ausgabe eines Borroughs-Essay, englisch/deutsch. Da beide Sprachen die gleiche Satzrichtung haben, musste dieses Buch wie nun heute »Die Leinwand« gebunden werden, als Buch zum Wenden. Als ich das sah, habe ich binnen Sekunden beschlossen, dass ich »Die Leinwand« so komponieren würde. So nämlich ließ sich der Text in einer Weise präsentieren, der alle Lektürevarianten zulässt und die Entscheidung einerseits dem Leser überlässt, sie ihm andererseits aber auch abfordert. Diese Entscheidung bestimmt das Erlebnis des Buches und ist nicht mehr rückgängig zu machen. »Die Leinwand« berichtet ja von diversen Lebensentscheidungen. Die Form des Buches hat also direkten Bezug zum Inhalt.
Natürlich muss man einen solchen Text dann auch gestalten, so dass zumindest die vier offenbaren Lektürewege »funktionieren«. Das hat mich künstlerisch ungemein gereizt.
War die Umsetzung das schwierigste am ganzen Buch?
An Schwierigkeiten kann ich mich nicht erinnern… Das Buch zu schreiben, hat mir unbändige Freude gemacht. Natürlich muss man einen solchen Text genau planen, aber so arbeite ich ohnehin. Mitunter hatte ich das Gefühl, dass sich deswegen alles mit so leichter Hand bewerkstelligen ließ, weil diese Geschichte genau nach dieser Form verlangt hat.
Sie haben mein Buch auf der Zichroni Seite signiert. Zufall oder gewollt?
Wenn ich auf Lesungen signiere, lasse ich die Besitzer der Bücher entscheiden, wo ich signieren soll. Ich entscheide es nicht für sie! Sie haben mir das Buch geschickt. Also habe ich eine Münze geworfen. Ob es Zufall ist, wie eine solche Münze fällt, müssen Sie selbst entscheiden.
Wie reagieren sie auf schlechte Kritik? 
Das hängt ganz von der Kritik und der Intention des Kritisierenden ab. Ich habe immer das »Sparring« mit anderen Autoren geschätzt. Bei der »Leinwand« war ein befreundeter Autor kontinuierlicher Erstleser neuer Kapitel. Dafür und für seine Kritik werde ich ewig dankbar sein. Eine gemeinsame tiefe Begeisterung für die »Sache« und gegenseitiger Respekt sind wohl Voraussetzung dafür, dass solche Verbindungen funktionieren. Kritik anzunehmen, kann mitunter sehr schwer sein. Wie ich damit umgehe, kann man an folgender Tatsache ablesen: Sicher 90% der Anmerkungen, die meine Agentin oder mein Lektor zum Text hatten, habe ich berücksichtigt – einige allerdings erst in der allerletzten Fahnenkorrektur, nachdem ich mehrere Monate lang eher ablehnend darüber nachgedacht hatte.
Aber vielleicht meinen sie mit »schlechter Kritik« negative Besprechungen durch Kritiker. Reagieren darf man als Autor auf so etwas gar nicht. Davon bin ich überzeugt. Und wenn man sich gekränkt fühlt – also immer – ist im Stillen auch mal ein wenig Arroganz gestattet: Wenn der oder die sich so ablehnend äußern, müssen sie was übersehen haben!
Wie lange haben Sie an „Die Leinwand“ geschrieben?
Das ist im »Turmsegler« dokumentiert. Den Startschuss habe ich mir am 6. November 2007 gegeben (http://turmsegler.net/20071106/mayim-rabim/). Die ersten beiden Zichroni-Seiten habe ich im Flugzeug geschrieben, auf meiner ersten Recherche-Reise nach Israel; Das war am 27. Dezember 2007. Den letzten Punkt habe ich im Oktober 2008 gesetzt (http://turmsegler.net/20081012/die-leinwand-ist-fertig/). Ich sage ja: es war ein Arbeiten mit leichter Hand.

1 Kommentar:

  1. ...wieder einmal sehr schöne Fragen und natürlich auch ehrliche Antworten durch Herrn Sein.

    Danke dafür

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